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26.11.2019

Wie wir das Artensterben verhindern können

Etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten sind weltweit vom Aussterben bedroht schätzt der Weltbiodiversitätsrat der Vereinten Nationen (IPBES) in seinem ersten globalen Bericht zum Zustand der Artenvielfalt. Auch die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten in Deutschland sinkt dramatisch. Auf dem Dialogforum WISSENSWERTE in Bremen diskutierten Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Dr. Christiane Paulus, Leiterin Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und F.R.A.N.Z.-Landwirt Jochen Hartmann unter dem Titel „Wie wir das Artensterben verhindern können" über Ursachen des Artensterbens, Handlungsbedarfe und konkrete Lösungsansätze.

Das Ausmaß des Artensterbens war demnach noch nie so groß wie heute – und die Aussterberate nimmt weiter zu. Insbesondere die Zahl der insektenfressenden Vögel ist in Europa signifikant gesunken. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf das Ökosystem landwirtschaftlich genutzter Flächen und Lebensräume.

Die Ursachen für den Artenrückgang sind vielfältig: Die Zunahme bewirtschafteter Ackerbauflächen, die vorbeugende und flächendeckende Nutzung von Pflanzenschutzmitteln, Überdüngung, Flächenversiegelung und die sinkende Strukturvielfalt der Landschaft schaden der Biodiversität. Die intensiv wirtschaftende Landwirtschaft führt zwar zu steigender Nahrungsmittelproduktion - das geht aber zu Lasten von Artenvielfalt, Boden, Wasser und Luft. Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, machte deutlich, dass die Gesellschaft eine Systemveränderung braucht. Für Böhning-Gaese liegen die Schlüssel für eine derartige Veränderung in der Agrarpolitik, im Handel und auch beim Verbraucher. Sie betonte: „Wir müssen bereit sein mehr Geld für Lebensmittel auszugeben. Dafür brauchen wir mehr Bewusstsein für Biodiversität und einen Wertewandel.“ Laut Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese wissen wir bereits genug, um handeln zu können. Es ist entscheidend, dass ökologisch nachhaltig erzeugte Lebensmittel einen entsprechenden Marktwert erhalten.

Aktuelle politische Lösungsansätze

Wie kann ein Umsteuern in der Agrarpolitik aussehen? Dr. Christiane Paulus, Leiterin Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung, vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) verdeutlichte, dass die Landwirte mit Naturschutzleistungen ein angemessenes Einkommen erzielen müssen. Sie forderte deshalb alle beteiligten Akteure auf gemeinsam an der Zukunft der Landwirtschaft zu arbeiten, um einen fairen Preis für ökologisch erzeugte Lebensmittel zu erzielen. Paulus machte klar, dass die Landwirtschaft ohne Insekten und Bestäuber vor grundsätzliche Probleme gestellt wird. Laut Paulus muss der Düngeeinsatz in Folge der Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof umfassend reduziert werden. Dafür ist eine deutliche Verschärfung der Düngeregelungen erforderlich. Mit den richtigen Anreizen für Landwirte sollen unsere Äcker wieder einladender werden für Insekten und Vögel. Ein solcher Anreiz ist beispielsweise die Verbesserung der Finanzierung von Agrarumweltleistungen, die auch im Aktionsprogramm Insektenschutz aufgenommen wurde. Mit dem Programm möchte die Bundesregierung die Lebensbedingungen für Insekten und die biologische Vielfalt in Deutschland verbessern, um dem Insektensterben entgegenzuwirken. Für die Förderung von Insektenschutz und den Ausbau der Insektenforschung stellt die Bundesregierung 100 Millionen Euro im Jahr  bereit. Aus Sicht des Bundesumweltministeriums müssen die GAP-Zahlungen so weit wie möglich an Umweltleistungen gebunden werden. Paulus stellte klar, dass Deutschland mit bis zu 10 Prozent nicht-produktiver Flächen mit Vorrang für Biodiversität, Erhalt von Grünland und Moorböden ausgestaltet sein muss.

Wie sind konventionelle Landwirtschaft und Artenschutz vereinbar

Wie können Agrarlandschaften nachhaltig genutzt werden und gleichzeitig Lebensraum für eine große Artenvielfalt bieten? Der Betrieb von Jochen Hartmann zeigt, dass Landwirtschaft und Naturschutz vereinbar sind. Gemeinsam mit Wissenschaftlern und einem Betriebsberater setzt er im Rahmen des Projektes F.R.A.N.Z. verschiedene Naturschutzmaßnahmen auf seinen Feldern um. „Wir arbeiten gemeinsam mit der Forschung an der Umsetzung der Naturschutzmaßnahmen für mehr Biodiversität auf den Feldern“, erläuterte Jochen Hartmann den Teilnehmern auf dem Dialogforum WISSENSWERTE in Bremen. Mehrjährige Blühstreifen, Feldvogelinsel und Oberbodenabtrag sind nur einige seiner Maßnahmen, die er auf seinem rund 200 ha großen Ackerbaubetrieb in der nördlichen Lüneburger Heide anwendet. Im Rahmen des F.R.A.N.Z.-Projektes fördert Hartmann auf zehn Prozent seiner Fläche die Lebensgrundlagen für Insekten und Feldvögel. Damit sein Beispiel Schule macht verdeutlicht er: „Ein Biotop muss eine Einkommensquelle sein und keine Last. Aktuell haben Hecken und Biotope keinen Wert. Das müssen wir ändern.“ Für Hartmann stehen die Nützlinge im Fokus: „Wir müssen als Landwirte die Nützlinge fördern. Mein Ziel ist den Boden ganzjährig grün zu halten.“ Um Biodiversität in die Fläche zu bringen sind für Hartmann die positiven Nachrichten entscheidend. Nur so sieht die Gesellschaft den Nutzen solcher Naturschutzmaßnahmen. Die Kosten für diese Naturschutzleistungen sind überschaubar: „Wir haben 30 Hektar Kartoffeln. Wenn alle Kartoffeln bei Edeka verkauft werden, kostet F.R.A.N.Z.-Biodiversität nur 3,9 Cent pro Kilogramm Kartoffeln“, erläutert Hartmann. Hartmann’s Beispiel zeigt, dass Landwirtschaft und Naturschutz nur gemeinsam im Dialog mit allen beteiligten Akteuren aus Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik vorangebracht werden können.

Chancen und Wege für mehr Biodiversität

Insgesamt wurde deutlich, dass die Frage der Wertschätzung von gesunden Lebensmitteln mindestens genauso wichtig ist wie die Preispolitik. Der Biologe und Umweltforscher Professor Josef Settele machte darauf aufmerksam, dass wir unser Wertesystem überdenken müssen. „Wir basteln aktuell an Symptomen. Was wir brauchen ist eine Systemveränderung“. Um das Artensterben aufzuhalten, sind laut Settele Investitionen in nachhaltige und verantwortungsvolle Innovationen notwendig.

Im IPBES-Bericht wurde festgehalten, dass die Natur und ihre Beiträge für die Menschen, sogenannte Ökosystemleistungen, die Voraussetzungen für menschliches Leben und Lebensqualität sind. Doch laut Settele haben die meisten dieser Ökosystemleistungen einen negativen Trend. Das hängt wiederum damit zusammen, dass die Verbraucher nicht für die ökologischen und sozialen Kosten zahlen, da sie sich dieser Kosten gar nicht bewusst sind.  Umweltkosten werden bisher nur unzureichend den Verursachern angerechnet, womit es keine hinreichenden wirtschaftlichen Anreize gibt, die Umweltbelastung zu senken. Für Professorin Katrin Böhning-Gaese hat insbesondere die Krefeld-Studie gezeigt, dass neben dem Preis die öffentliche Aufmerksamkeit die entscheidende Komponente für mehr Biodiversität in der Agrarlandschaft sein kann.

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