Wie kann Landnutzung zugleich Klimaschutz, Ernährungssicherheit, Biodiversität und wirtschaftliche Tragfähigkeit gewährleisten? Diese Frage stand im Zentrum unserer Veranstaltung am 29. April 2025, bei der wir gemeinsam mit Fachleuten und Gästen aus Politik, Landwirtschaft, Naturschutz, Wissenschaft und Wirtschaft eine aktuelle Studie von Agora Agrar diskutierten. Die Studie entwirft ein Zukunftsszenario, in dem Land- und Forstwirtschaft deutlich stärker zu Nachhaltigkeitszielen wie Klimaneutralität und Biodiversität beitragen – und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben.
Perspektiven aus der landwirtschaftlichen Praxis
Die praktizierende Landwirtin und Agrar-Influencerin Gesa Ramme teilt in ihrem Impulsvortrag ihre Sicht auf die Agora-Studie – differenziert, kritisch und nah an der Praxis. Aus ihrer praktischen Erfahrung heraus thematisierte sie zentrale Fragestellungen und Herausforderungen zu den in der Studie skizzierten Lösungsansätzen. Klimaschutz und Biodiversität seien in der Landwirtschaft grundsätzlich gewollt – entscheidend ist, dass die Maßnahmen praxistauglich, fair vergütet und gesellschaftlich mitgetragen werden. Ambitionierte Ziele wie die Halbierung der Tierhaltung würden in der Praxis auf strukturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Hürden stoßen und könnte das Höfesterben verstärken.
Dieser fundierte Realitätscheck bildete den Ausgangspunkt für die anschließende Podiumsdiskussion.
Podiumsdiskussion: Mut zu neuen Wegen
1. Landwirtschaft als Schlüssel zur Bioökonomie und Erreichung von Klimazielen
Die Landwirtschaft ist essenziell für die Bioökonomie: Zwei Drittel der dort genutzten Rohstoffe stammen aus diesem Sektor. Um Klima- und Biodiversitätsziele zu erreichen, müssen die Tierhaltung reduziert und neue, tragfähige Einkommensquellen erschlossen werden – etwa durch Paludikultur auf wiedervernässten Mooren. Die Transformation benötigt nicht nur eine faire Vergütung von Ökosystemleistungen durch private Mitfinanzierung (z. B. durch Unternehmen) oder gezielte öffentliche Anreize, sondern auch den Aufbau neuer Wertschöpfungsketten, um die Nachfrage zu entwickeln (s. Initiative toMOORow).
2. Klare Ziele und politische Steuerung
Für die Klimaneutralität sind ambitionierte, sektorale Ziele mit verbindlichen Zeitpfaden notwendig. Vorgeschlagene, politische Instrumente wie Emissionshandel-Systeme oder eine CO₂-Bepreisung können zur Umsetzung beitragen. Der Staat müsse den Rahmen setzen, faktenbasiert informieren und Diskussionsräume schaffen – ohne Mikromanagement oder Verbote.
3. Biodiversität – dringlich, zentral und unterschätzt
Der Schutz der Biodiversität ist genauso dringlich und wirtschaftlich relevant, ist aber bislang in Agrarlandschaften zu wenig erfolgreich. Es brauche verbindliche Ziele, standardisierte Indikatoren (wie z. B. im F.R.A.N.Z.-Projekt) und konkrete Maßnahmen – z. B. bei der Wiedervernässung von Mooren. Biodiversitäts- und Klimaschutz müssen gemeinsam gedacht und wirtschaftlich integriert werden – u. a. durch Honorierung von Ökosystemleistungen. Unternehmen aus dem Lebensmitteleinzelhandel wissen oft bereits, wo ihre größten Potenziale und Hebel liegen, es falle jedoch schwer, sich im Wettbewerb und Preiskampf zu behaupten. Es brauche daher Mut, klare Kriterien, gleiche Standards und ein gemeinsames Verständnis.
4. Ernährungssystem: Staat und Verbraucher*innen in der Verantwortung
Gemeinsames Handeln von Staat und Verbraucher*innen ist nötig. Verbraucher*innen brauchen transparente Informationen zu Produkten und deren Inhaltsstoffe und Nachhaltigkeitswirkung. Eine nachhaltige Ernährungspolitik sollte pflanzenbetonte Angebote fördern, etwa durch verbindliche Vorgaben in Kitas, Schulen und Kantinen. Die Studie empfiehlt eine verstärkte regionale Produktion von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten. Technologische Innovationen wie alternative Proteine bieten zusätzliches Potenzial. Nachhaltigkeit ist häufig mit höheren Kosten verbunden, die nicht alle Verbraucher*innen bereit sind zu tragen (Stichwort „Bürger-Konsumenten-Gap“). Es müsse eine Ernährungsumgebung geschaffen werden, die es Verbraucherinnen und Verbrauchern erleichtert, sich für gesunde und nachhaltige Lebensmittel zu entscheiden, indem diese Optionen verfügbar, erschwinglich und attraktiv sind.
Die lebendige und kontroverse Diskussion – sowohl unter den Podiumsteilnehmenden als auch im Austausch mit dem Plenum – zeigte eindrucksvoll die Vielschichtigkeit der Themen und die Relevanz der Beiträge am Puls der Zeit. Jetzt gilt es, den Dialog in konkretes Handeln zu überführen.
Bilder von Ulrich Schaarschmidt: