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18.11.2019

Im Dialog - Journalist und Filmemacher Dirk Steffens

„Bisher ist über das Artensterben, seine Ursachen, sein Ausmaß, seine Folgen, viel zu wenig bekannt. Daher wird das Thema in Öffentlichkeit und Politik bisher viel zu wenig diskutiert. Das muss sich dringend ändern“, sagt Journalist und Filmemacher Dirk Steffens. Ein Gespräch über Artenverlust, neue Wege für mehr Biodiversität in der Agrarlandschaft, lebensspendende Nahrungsmittel und die Meere als das größte und komplexeste Ökosystem auf diesem Planeten.

Interview von Sven Stöbener

UMO: Als Filmemacher sind Sie viel unterwegs? Wo kommen Sie gerade her?

Ich komme gerade aus San Francisco und bin auf dem Weg nach Tschernobyl.


Was führt Sie nach Tschernobyl?

Wir drehen hier für die Terra X-Reihe mit dem Arbeitstitel Anthropozän, in der wir dokumentieren, wie sehr der Mensch die Gestalt der Erde schon verändert hat. Neue Wüsten, Bergbau, Megastädte - und natürlich auch das Reaktorunglück von Tschernobyl, das ikonisch dafür steht, wie tief der Mensch mit seinen heutigen Mitteln in die Kreisläufe des Planeten eingreifen kann.


Sie haben als Naturfilmer viele Tiere beobachtet und dem Zuschauer näher gebracht? Welche Arten oder auch Organismengruppen stehen in Ihrem besonderen Fokus? Und welche Arten sind für unsere Ökosysteme lebenswichtig?

Die großen Säugetiere liegen uns zwar besonders am Herzen, aber Tiergruppen wie die Insekten sind für unser eigenes Überleben wahrscheinlich wichtiger. Ökosysteme können den Verlust einzelner Großsäuger möglicherweise kompensieren. Ohne Insekten, ohne Bestäuber, sind viele Natursysteme aber nicht funktionsfähig. Diese kleinen, oft ungeliebten Wesen sind also systemrelevant, wir dürfen sie nicht verlieren.

Der Schutz der Biodiversität liegt Ihnen besonders am Herzen. Seit knapp zwei Jahren engagieren Sie sich mit Ihrer Stiftung „Biodiversity Foundation“ für den Erhalt der Artenvielfalt. Warum haben Sie eine eigene Stiftung gegründet? Sie sind doch bereits Botschafter für den WWF.


Der WWF beackert das Umweltthema in voller Breite, wir konzentrieren uns mit unserer Stiftung voll auf das Thema Biodiversität. Denn das Artensterben halte ich für die größte Bedrohung unserer Zeit. Die natürliche Aussterberate ist um mindestens das Hundertfache erhöht, wir erleben das schlimmste Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES hat in diesem Jahr festgestellt, dass von etwa acht Millionen Arten auf der Erde eine Million vom Aussterben bedroht ist. Und im Gegensatz zum Klimawandel, der schon recht gut erforscht ist, wissen wir über den Biodiversitätsverlust noch viel zu wenig.


Was unterscheidet Ihre Stiftung von anderen Umweltorganisationen oder Umweltstiftungen?

Der Stiftungszweck: Wir stehen für den Wissenstransfer aus der Forschung in die breite Öffentlichkeit. Bisher ist über das Artensterben, seine Ursachen, sein Ausmaß, seine Folgen, viel zu wenig bekannt. Daher wird das Thema in Öffentlichkeit und Politik bisher viel zu wenig diskutiert. Das muss sich dringend ändern.

Warum ist für Sie das Artensterben unser größtes Umweltproblem?

Weil die Erde ohne Artenvielfalt für uns unbewohnbar ist. Atemluft, Trinkwasser, Nahrung, Arzneimittel - ohne Artenvielfalt wären all diese Biosystemdienstleistungen, die wir ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen, nicht mehr verfügbar. Während der Klimawandel nur die Gesellschaft bedroht, in der wir leben, ist das Artensterben tatsächlich eine Gefahr für unser Überleben. Wir müssen schnell und entschlossen handeln, um nicht das Schicksal der Dinos zu teilen.


Was sind die Hauptgründe für den Artenrückgang in Deutschland?

In Deutschland spielt ohne Frage die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle. Dazu kommen noch Lebensraum-Zerstörung, Verschmutzung, Flächenverbrauch und einige andere Faktoren.


Welche Akteure stehen hierzulande in der Verantwortung den Verlust der Biodiversität zu stoppen?

Alle. Einzelnen Gruppen besondere Schuld oder Verantwortung zuzuweisen, wäre unredlich. Beispiel Landwirtschaft: Unsere Bäuerinnen und Bauern sind Teil eines Systems, in dem Verbraucher, Handel, Politik und Agrarindustrie mitbestimmen. Das im Moment verbreitete Bauern-Bashing ist also unfair, weil ökonomische Zwänge den Spielraum der Landwirtschaft einengen. Wir alle zusammen haben den Karren in den Dreck gefahren, also müssen wir ihn auch gemeinsam wieder rausziehen.


Die Landwirtschaft wird ohne Insekten und Bestäuber vor grundsätzliche Probleme gestellt. Umweltministerin Schulze fordert daher praktikable Lösungen und die richtigen Anreize, wie z. B. das Aktionsprogramm Insektenschutz, mit dem die Bundesregierung die Lebensbedingungen für Insekten und die biologische Vielfalt in Deutschland verbessern möchte. Welche politischen Rahmenbedingungen sind notwendig, um den Artenverlust zu stoppen? Wer ist jetzt gefordert?

Natürlich spielt die Politik dabei eine entscheidende Rolle. Das meiste Geld wird immer noch über die EU verteilt und bisher profitieren die Betriebe mit den größten Flächen am meisten von den Subventionen. Das setzt falsche Anreize. Die vielen Milliarden, die von allen Steuerzahlenden gemeinsam aufgebracht werden, müssen auch im Interesse der Allgemeinheit ausgegeben werden. Landwirtschaftliche Qualität muss deshalb stärker gefördert werden als Quantität. Wir brauchen mehr Klasse statt Masse.

Wie lassen sich Naturschutz und Landwirtschaft miteinander vereinbaren? Und wo sehen Sie Verbesserungsbedarfe in der Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Naturschutz?


Naturschutz und Landwirtschaft waren noch nie Gegensätze, das ist ein von Parteien und Lobbygruppen geschaffener Konflikt. Wenn ungefähr die Hälfte der Fläche Deutschlands von Bäuerinnen und Bauern betreut wird, ist doch klar, wer die wichtigsten Naturschützer sein müssten. Dass sie es im Moment nicht sind, liegt genauso am Geiz der Verbraucher wie an den Fehlsteuerungen durch die Politik und dem Verhalten einiger Verbände. Projekte wie F.R.A.N.Z. von Ihrer Stiftung können hoffentlich dazu beitragen, den völlig unsinnigen Konflikt zwischen Umweltschützern und Bauernlobby zu entschärfen.


Wie könnten neue Wege für mehr Artenvielfalt aussehen?

So wie bei F.R.A.N.Z.: Konventionelle Landwirtschaft mit Hilfe der Wissenschaft konsequent modernisieren, die wirtschaftlichen Vorteile nachhaltiger Anbautechniken herausarbeiten und den Verursachern von Umweltschäden durch zu viel Gülle oder Chemie die Kosten aufbürden. Warum sollen Bauern und Verbraucher die Zeche alleine zahlen, während internationale Agrar- und Chemiekonzerne sich aus der Verantwortung stehlen? Die Marktwirtschaft würde von ganz allein die nachhaltigsten Bewirtschaftungsformen hervorbringen, wenn nur die Rahmenbedingungen stimmen würden. Außerdem befürworte ich eine radikale technische Modernisierung der Landwirtschaft. Digitalisierung und Robotik können vielleicht mehr für den Umweltschutz leisten als der erbitterte Streit um die genaue Breite von Blührandstreifen. Ein solarbetriebener, autonom arbeitender Jät-Roboter macht den Einsatz von Herbiziden fast überflüssig. Feldroboter können auch den unseligen Trend stoppen, immer größere, maschinengerechte Äcker anzulegen. In der neuen Agrartechnik steckt jede Menge Ökopotential. Und kein Betrieb müsste mehr die unsinnige Entscheidung zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft treffen. Also wünsche ich mir mehr Mut bei der Anwendung fortschrittlicher Technologien.


Warum sind wir gerade bei Nahrungsmitteln so geizig? Wie schaffen wir es, gesunde Lebensmittel mehr wertzuschätzen?

Mir ist absolut rätselhaft, warum wir bei Flachbildschirm-Fernsehern, Autos, Armbanduhren oder der Couch so sehr auf Qualität achten, während wir bei lebensspendenden Nahrungsmitteln immer nur auf den Preis schielen. Das ist eine bizarre Verzerrung der Prioritäten. Der Handel trägt meiner Meinung nach eine Mitschuld daran: Die ewige Bewerbung und Betonung der Geiz-ist-geil-Kultur schadet unserer Gesellschaft.


Wie können wir ökologisches Handeln in der Gesellschaft verankern? Wie können wir es schaffen, dass sich ökologisches Handeln mehr lohnt als unökologisches?

Mit Steuern. Und Steuererlassen. Wobei das zweite vielleicht noch wichtiger ist, damit nicht der falsche Eindruck entsteht, Umweltschutz sei teuer. Das Gegenteil ist richtig. Alles Unökologische muss konsequent verteuert, alles Ökologische konsequent verbilligt werden. Den Rest regelt der Markt, oder besser gesagt: Die Kompetenz und Fantasie der Millionen Menschen in Deutschland, die auf den Bauernhöfen, in den Lebensmittel-Konzernen und im Handel arbeiten.


Die Gesellschaft weiß bisher noch sehr wenig über den Zusammenhang zwischen menschlichem Handeln und das Artensterben und die damit verbundene Komplexität von Ökosystemen? Inwieweit schaffen Sie mit Ihren Filmen ein Bewusstsein für den Schutz unserer biologischen Vielfalt? Oder anders gefragt: Wie kritisch müssen Ihre Filme sein, um den Zuschauer für den Artenschutz zu sensibilisieren?

Bernhard Grzimek hat mal gesagt, eine gute Naturdoku müsse zu 70 Prozent aus Unterhaltung und zu 30 Prozent aus Information bestehen. Das könnte stimmen. Auch der Anteil kritischer Elemente muss klug dosiert werden, damit keine Abschaltreflexe getriggert werden.


Was können Sie durch Ihre Filme und Ihr Engagement verändern?

Keine Ahnung. Ich hoffe: viel, aber das kann ich nicht wissen.

Sie tauchen seit über 20 Jahren. Auch die Weltmeere sind in Gefahr. Überfischung, Korallensterben, Vermüllung der Meere mit Plastik sind nur einige Bedrohungen. Was hat sich in den letzten 20 Jahren aus Ihrer Sicht verändert, sowohl positiv als auch negativ?

Positiv ist eigentlich nur der Bewusstseinswandel. Von Einzelerfolgen wie beispielsweise dem Walschutz mal abgesehen, zeigen alle wichtigen Entwicklungen, von der Überfischung über die Meeresversauerung bis hin zur Vermüllung nach unten. Die Wende zum Guten ist noch nicht geschafft.


Was muss getan werden, um das Ökosystem Ozean, das als Nahrungsgrundlage für Milliarden Menschen dient, zu retten?

Darauf gibt es keine einfache Antwort. Die Meere sind das größte und komplexeste Ökosystem auf diesem Planeten. Sie machen unser Wetter, regeln unser Klima, versorgen uns mit Sauerstoff und Nahrung. Alles was den Meeren schadet, schadet letztendlich auch uns.


Sie haben sich mal einen Umwelt-Optimisten genannt. Wie optimistisch gehen Sie angesichts dieser zahlreichen Umweltkatastrophen noch in die Zukunft?

Ungebrochen optimistisch. Schon aus Mangel an Alternativen. Es gibt ja keinen Planeten B. Und weil der Mensch sensationell begabt darin ist, Probleme zu lösen. Die Welt wird also ganz bestimmt nicht untergehen. Die Frage ist nur, welche sozialen und ökonomischen Kosten wir dafür zahlen müssen, die Natur zu heilen, wie schmerzhaft der Transformationsprozess wird. Es ist ein bisschen wie mit einer schweren Krankheit: Wird sie früh behandelt, reichen vielleicht ein paar Tabletten, um den Patienten genesen zu lassen. Wird die Krankheit verschleppt, drohen Operationen, Amputationen und noch Schlimmeres. Die gute Nachricht: Wir haben die Wahl. Noch.

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