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6.11.2018

Im Dialog - Felicitas Sommer und Prof. Dr. Michael Otto

Felicitas Sommer, eine umweltengagierte Ethnologin, und der Stifter Prof. Dr. Michael Otto kämpfen beide für mehr Nachhaltigkeit. Ein Gedankenaustausch über Wachstum und Verzicht, Evolution und Revolution


Sie beide treffen sich zum ersten Mal. Deshalb ein kleines Spiel zum Kennenlernen am Anfang: Drei Fragen mit zwei Alternativen, Sie müssen sich für eine davon entscheiden samt kurzer Begründung. Und schon geht’s los: Grün oder Blau?

Prof. Dr. Michael Otto Grün. Eine unglaublich frische und sympathische Farbe, die für die Natur steht.

Felicitas Sommer Auch grün. Ich denke an den hohen Atlas im Frühling, wogende Getreidefelder, an das Prinzip des Kreislaufs.

Otto Grün ist aber auch die Hoffnung. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Optimismus oder Pessimismus?

Sommer Auf jeden Fall Optimismus. Nicht in dem Sinne, dass ich glaube, das schon alles gut wird. Aber Optimismus ist die Energie, die ich brauche, um überhaupt etwas zu tun.

Otto
Optimismus. Bei allem, was man kritisieren kann und muss, ist es wichtig, die positiven Ansätze zu sehen. Nur dann kann man diese auch weiter und zum Besseren entwickeln.

Evolution oder Revolution?

Otto
Evolution. Die Frage stellt sich zwar, ob manche Dinge mit einer Evolution lösbar sind. Aber eine Revolution hat immer extrem negative Auswirkungen. Insofern bin ich für eine zügige Evolution.

Sommer
Ich bin ebenfalls auf Seite der Evolution. Wenn man in Eile ist, soll man langsam gehen. Wir sind gesellschaftlich sehr in Eile und müssen trotzdem noch herausfinden, wo es hingeht. Aber es braucht grundsätzliche Veränderungen.

So viele Übereinstimmungen …

Sommer
Auch wenn wir dieselben Antworten geben, stellt sich die Frage, wie man zu der Antwort kommt (beide lachen).

Dr. Otto, Sie sind 75 Jahre alt, Sie sind finanziell unabhängig, Sie könnten sich zurücklehnen und das Leben genießen.

Otto
Aber meine Vorstellung ist es nicht, das Leben zu genießen, indem ich am Strand liege und Däumchen drehe. Mir macht es vielmehr Freude, Anstöße zu geben, Dinge positiv zu beeinflussen.

Sommer
Wie würde Ihr Leben denn aussehen, gäbe es Ihr Engagement für den Naturschutz nicht?

Otto
Dann würde ich mich an anderer Stelle für die Gesellschaft engagieren. Es gibt so viele Notwendigkeiten, etwas zu verbessern. Und da bin ich der Meinung, dass jeder Bürger etwas tun muss, je nachdem, was er vermag. Ich habe erfreulicherweise mehr Möglichkeiten – aber dadurch auch mehr Verantwortung.

Sommer
Mich würde interessieren, wie Ihr Engagement in Ihrem Umfeld, etwa von anderen Unternehmern, eingeschätzt wird.

Otto
Ich habe immer versucht, Initiativen zu starten, bei denen ich andere mitnehme. Natürlich kann man allein einiges erreichen, aber richtige Durchschlagskraft erzielt man in Kooperation.

Sommer
Aber stoßen Sie da nicht an Grenzen? Nicht jeder wird Ihr Engagement teilen …

Otto
Das stimmt schon. Als ich 1986 Umweltschutz zum ausdrücklichen Unternehmensziel der Otto Group erklärt habe, haben mich andere Unternehmer als – ich wähle mal eine freundliche Formulierung – Exoten betrachtet. Aber da hat sich vieles geändert, auch wenn sich mancher nur ein grünes Mäntelchen umhängt. Aber wie sind Sie denn zum Umweltschutz gekommen?

Sommer
Meist sage ich, dass ich in einem Camp im Kampf von Kleinbauern gegen eine Goldmine im rumänischen Rosia Montana politisiert wurde. Aber genauso wichtig war ein Camp in einem bayerischen Moor mit elf Jahren. Ich durfte eine Woche lang Pfade ausbessern, etwas über Geschichte, Natur, Artenvielfalts des Moores lernen. Ich erinnere mich, wie ich mit anderen Mädchen im Sommerregen Nägel in Planken hämmerte und wir einfach stolz waren, diesen wilden Ort begehbar zu machen – und geschützter zugleich, weil Menschen eher befestigte Pfade benutzen.

Otto
Ich finde es wichtig, dass man gerade Kindern und Jugendlichen zeigt, wie wunderschön die Natur ist. Wer die Natur lieben gelernt hat, der wird sie auch schützen.

Sommer
Es scheint mir, dass Sie das bei den aqua-projekten der Stiftung wörtlich nehmen, indem es ein Jugendkuratorium gibt. Ein toller Lernraum für junge Menschen, denn wer sollte über Zukunftsprojekte entscheiden, wenn nicht die jüngere Generation. Bei Ihnen kam das erst später, oder?

Otto
Eine enge Beziehung zur Natur hatte ich schon von Kindheit an, aber projektbezogenes Handeln kam zeitbedingt erst später. Ursprünglich verfolgte meine Stiftung nur den Zweck, den Schutz und Erhalt der Lebensgrundlage Wasser zu unterstützen. Die Bedürfnisse von Mensch und Natur treffen sich dort gleichermaßen. Besonders eindrucksvoll habe ich das bei einer Reise in Afrika erlebt. Die Gnus, die bei der Migration zu Tausenden die Savanne bevölkern, können den Zeitpunkt ihrer Niederkunft verzögern und warten, bis der Regen da ist. Wenn dann die Savanne ergrünt, wird sie zeitgleich von Tausenden Gnu-Kälbern bevölkert. Ein Bild mit Symbolkraft: Wasser ist Leben!
Es gibt häufig Vorurteile über die Generationen. Alte Menschen gelten als starr und unbeweglich, die Jugend dagegen als naiv, faul, unpolitisch. Wie viel Wahres ist da dran?

Sommer
Mit Zuschreibungen tue ich mich schwer. Am Ende ist entscheidender, in welchem Milieu jemand groß geworden ist. Die Menschen in meinem Umfeld entstammen nicht selten sicheren Verhältnissen. Wenn das elterliche Motto dagegen ist, nicht mit der eigenen Bildungslücke aufzufallen, sind Heranwachsende oft fixiert darauf, einen sicheren Platz im Leben zu finden. Jung sein, bedeutet nicht automatisch, flexibler zu sein. Jemand der weiß, dass das eigene Leben selbst gestaltet werden kann, der kann sich auch mehr Freiheit im Denken erlauben. Ebenso kann sich eine junge Generation wiederum an prekäre, kurzfristige Arbeitsverhältnisse gewöhnen oder lernen den Klimawandel zu akzeptieren, weil sie damit aufgewachsen ist.

Otto
Ich wehre mich auch immer gegen Schubladen. Was man sagen kann, ist, dass die junge Generation im Vergleich zu früher deutlich besser informiert ist. Aber ob sie deshalb mehr umsetzt, hängt von jedem Einzelnen ab. Das ist unabhängig vom Alter.
Aber ist Engagement nicht auch vom Alter abhängig? Jüngere Menschen ziehen häufig um, oft wegen des Jobs, da muss man sich jedes Mal neu einrichten, da fehlt die Verbindung …

Otto
Umgekehrt kriegt man aber sehr viel mehr Informationen, wenn man häufig den Wohnort wechselt. Oder viel reist. Wer sein ganzes Leben in einer Kleinstadt verbracht hat, mag vielleicht mit Fug und Recht behaupten: Klimawandel? Bemerke ich gar nicht.
Sommer Ich befürchte nur, dass die Lücke zwischen Wissen und Handeln noch größer wird, weil bestimmte Informationen ihre Relevanz verlieren, wenn jeden Tag eine neue Katastrophenmeldung kommt, ob nun Bienen sterben oder der Golfstrom abschwillt. Das erschwert zumindest das Finden und Durchhalten einer langfristigen politischen Strategie. Projekte, die einen langen Atem erfordern, kommen da zu kurz.

Otto
Die Gefahr ist da, dass man bei einer Überflutung mit Informationen nicht mehr selektieren kann, was wichtig ist und was nicht. Da haben Qualitätsmedien meines Erachtens schon die Aufgabe, immer mal wieder Schwerpunkte zu setzen. Trotzdem überrascht es mich, wie groß momentan das Thema Insektensterben in den Medien ist …

Sommer
Und damit auch die Artenvielfalt.

Otto
Exakt. Nur läuft das normalerweise so, dass bei solchen Themen sympathische Jungtiere gezeigt werden, Elefanten, Orang-Utans, Eisbären, um Gefühle zu wecken. Insekten funktionieren da längst nicht so gut – und trotzdem wurde es ein so großes Thema. Was es objektiv auch ist, wenn man bedenkt, dass die Hälfte der Wildbienenarten ausgestorben ist oder auf der Roten Liste steht, dass riesige Obstanbaugebiete in China inzwischen von Hand bestäubt werden müssen, was natürlich auch wirtschaftlich ein absoluter Irrsinn ist.
Die Chinesen versuchen inzwischen sogar, Blüten mit Drohnen zu bestäuben. Was die häufig vertretene These unterstützt, der technische Fortschritt würde die Probleme lösen, unser Verhalten kompensieren. Ist diese These stichhaltig?

Otto
Technischer Fortschritt kann helfen, aber nicht alle Probleme lösen. Und er bringt häufig neue Probleme mit sich. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Eine Biene bestäubt am Tag ja nicht nur 1000 Blüten, sie weiß auch genau, wo sie schon war und vermag dies ihren Artgenossen mitzuteilen. Um auch nur in die Nähe dieser Leistung zu kommen, brauchen wir extrem sensible Drohnen mit millimetergenauem GPS, hochauflösenden Kameras, künstlicher Intelligenz. Deren Herstellungsaufwand und deren Stromverbrauch wären gewaltig.

Sommer
Für mich ist das generell eine Form von Zukunftsoptimismus, die mich an einen Kranken erinnert, der nichts gegen seine Krankheit unternimmt, weil er in Zukunft auf ein neues Medikament hofft. Mit dem Argument wird der Status Quo nur erhalten. Das zweite Problem ist, dass neue Technologien meist teuer sind und es nicht immer einen Trickle-Down-Effekt gibt. Ärmere Menschen werden von hochwertigen Produkten nicht nur ausgeschlossen, sondern in einer grünen Ökonomie auch noch moralisch geächtet. Denn bei Effizienzklassen – ob Gebäude oder Autos – wird immer die relative Einsparung und nicht die absolute gewertet. Aber das freistehende Einfamilienhaus mit 30 Quadratmetern pro Person ist nicht nachhaltiger gegenüber einer Stadtwohnung mit mehreren Parteien, selbst wenn die einen alten Kühlschrank hat! Trotzdem kann sich Ersteres mit einer höheren Effizienzklasse rühmen. Wenn man Platz spart oder wenig unnötige technische Geräte laufen hat, bekommt man kein Siegel.

Otto
Sie propagieren also Verzicht statt Fortschritt?
Sommer Fortschritt dort, wo er erleichtert, mit weniger Schaden für Mensch und Umwelt besser zu leben. Da komme ich noch einmal zurück zum Knowledge-Action-Gap: Ich würde mir wünschen, dass ich mich nicht permanent darüber informieren muss, welches Produkt ethisch besser ist als das Andere. Die Auswahl müsste umgekehrt sein: Ich gehe in einen Laden und kann davon ausgehen, dass dort ein ökologisch sauberer Standard herrscht. Und zu den Informationen: Sie kommen häufig viel zu isoliert zu uns, ohne den oft entscheidenden Zusammenhang.

Otto
Sie meinen: Hier Klimawandel, dort Biodiversität – obwohl beides zusammenhängt?

Sommer
Ich arbeitete neben meiner Promotion in einem Netzwerk für nachhaltige Vermögensberatung. Grünes Geld also. Da gibt es Finanzanlagen, die sich aus einem Strauß von 17 Sustainable Development Goals ein paar herauspicken – aber welche SDGs sie behindern, das müsste eigentlich überprüft werden. Dafür müssten die SDGs auch überhaupt mal operationalisiert werden. Und oft entstehen Probleme durch ein komplexes Zusammenspiel, das auf Unternehmensebene überhaupt nicht sichtbar wird. Wir brauchen deshalb nicht mehr Einzelinformationen, sondern mehr Zusammenhänge und Überblick. Da muss man auch die wirklich großartigen Umweltorganisationen teilweise in die Pflicht nehmen: Sie dramatisieren oft, erst war es der Klimaschutz, jetzt ist es das Artensterben – wie mit einem Taschenlampeneffekt werden bestimmte Gebiete beleuchtet und andere ausgeblendet.

Otto
Das wäre die holistische Betrachtungsweise. Allerdings halte ich es für richtig, dass die Umweltverbände Schwerpunkte setzen. Es ist unmöglich, alles gleichzeitig zu machen. Aber es ist richtig, es gibt diese Lücke zwischen Wissen und Handeln. Da muss natürlich jeder bei sich selbst anfangen, aber, da gebe ich Ihnen Recht, es sollte möglichst einfach sein, sinnvoll zu handeln. Nur: Da muss auch jeder ehrlich mit sich selbst umgehen. Mit Recht wird von Einzelhandel und Markenproduzenten erwartet, dass ihre Angebote ohne Kinderarbeit und Umweltschäden hergestellt werden. Aber wer hohe Standards fordert und dann ein Damen-T-Shirt für 2 Euro 99 kauft, der verhält sich zumindest widersprüchlich.

Sommer
Es sind nicht immer die Menschen, die Angst vor Verzicht haben. Manche guten Lösungen werden gar nicht erst entwickelt, weil die Anbieter auf Gewinne verzichten müssten. Es gibt etwa in München eine weitaus höhere Nachfrage nach Wohngemeinschaften für Berufstätige oder Studierende. Das Angebot der Immobilienwirtschaft richtet sich nicht nach dem Bedarf, sondern nach der Zahlungsfähigkeit. Ironischerweise entstehen Angebote für diejenigen oft gar nicht, die bereit wären, ökologischer und – in dem Fall einer Wohngemeinschaft im doppelten Sinne – sozialer zu leben. Auch mitgliederbasierte Landwirtschaftsbetriebe haben ausnahmslos lange Wartelisten – das Problem sind hier nicht die Konsumenten: aber junge, innovative, nachhaltige Betriebe können auf dem Bodenmarkt nicht mit globalen Konzernen und Investoren konkurrieren.

Otto
Für die Wirtschaft ist es besonders wichtig zu wissen, wo sie prioritär Einfluss nehmen kann. Ist es sinnvoll, noch die letzten Glühbirnen auszutauschen oder etwas Anderes viel entscheidender? Wir haben mit unserer Tochtergesellschaft Systain ein Tool entwickelt, mit dem wir die Ressourcenverbräuche bei Wasser und Land, ferner die CO2-Emissionen, die Schadstoffbelastungen und sozialen Bedingungen der gesamten Produktionskette vollumfänglich analysieren und das Ergebnis in Euro bzw. im Sozialbereich in Risikostunden ausweisen können.

Sommer
Haben Sie ein Beispiel?

Otto
Ich habe gedacht, dass der größte Teil des CO2-Ausstoßes bei der Produktion eines T-Shirts beim Transport liegt, wenn man Baumwolle von Afrika nach China zur Produktion und von dort das fertige Produkt nach Europa transportiert. Der ist auch hoch, aber entscheidender ist der Färbeprozess. Das wiederum hat bei uns dazu geführt, dass wir uns jetzt an einer Fabrik in Vietnam beteiligen, wo das Färben ohne Wasser und mit geringerem CO2-Ausstoß funktioniert. Aber eben nur, weil wir die präzise Information hatten.
Könnte man nicht auf die Politik einwirken, dass sie ein Einheitssiegel vorschreibt?

Otto
Die Zahl der Siegel ist tatsächlich für den Konsumenten verwirrend, bei Lebensmitteln wie bei Kleidung. Aber auch ein Einheitssiegel ist keine einfache Lösung. Denn hier gilt es viele Kriterien zusammenzufassen. Bei sehr hohen Standards werden nur sehr wenige Unternehmen damit agieren können. Will man, dass möglichst viele dabei sind, dann müsste der Standard niedrig sein, was aber auch keine Lösung sein kann.

Sommer
Der Staat kann Rahmenbedingungen vorgeben.

Otto
Ich bin immer dafür, erst auf freiwilliger Basis zu handeln. Wenn das nicht funktioniert, muss man Verordnungen und Gesetze erlassen. In Ruanda sind Plastiktüten verboten – und siehe da, die Wälder, vorher furchtbar verschmutzt, werden sauber. Das kann man machen.

Sommer
Wir sind aber fast immer auf Ebene der Konsumentinnen und Konsumenten. Wäre es nicht sinnvoller, ökologisch schädliche Subventionen zu beenden? Man könnte auch den Ressourcenverbrauch stärker und die Arbeit weniger besteuern. Der Effekt: Produkte, die umweltfreundlicher produziert werden und Arbeitsplätze schaffen, würden günstiger. Dann könnten sich Kunden sogar auch am Preis orientieren.

Otto
Wir müssen Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen ergreifen. Es gibt nicht das „Entweder-Oder“, das erfolgsversprechend ist. In den Industrieländern müssen wir vom quantitativen zum qualitativen Wachstum kommen. In den Entwicklungs- und Schwellenländern geht es noch um Quantität, um einen Mindestwohlstand zu erreichen. Entscheidend ist das Thema Ressourceneffizienz: In Deutschland haben wir den Teil, den uns die Natur jährlich zur Verfügung stellt, schon am 2. Mai verbraucht, wir übernutzen also die Natur. Deshalb brauchen wir erneuerbare Energien, Recycling, Produktverbesserungen, Materialeffizienz. Ich habe kein Verständnis, wenn bei jedem neuen Handy ein neuer Steckkontakt eingerichtet wird, nur um ein neues Kabel teuer zu verkaufen. Bei den Subventionen ist es in der Tat so. Wir zahlen heute noch Subventionen für die Kohle, leisten sogar Bürgschaften für Kohlekraftwerke im Ausland. Das könnten wir schnell ändern, da müssen wir auch schnell ändern.

Sommer
Am Ende können wir auf einem endlichen Planeten selbst nachhaltig nicht unendlich konsumieren. Es gibt eine Grenze des Wachstums. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich Wachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln ließe: Was treibt uns zum Wachstum an?

Otto
Wenn wir die Weichen für die Zukunft richtig stellen, sehe ich so schnell noch keine Grenzen. Die Sonne gibt uns nahezu unendliche Energie. Beim Recycling sind wir gerade erst am Anfang. Es gibt genügend gute Beispiele für Cradle to Cradle, also von der Wiege bis zur Wiege. Wir werden dem einzelnen Bürger ja nicht verbieten können, sich etwas zu kaufen, was er gern haben möchte, weil er glaubt, dass es ihn attraktiver macht oder seine Umgebung verschönert. Keiner will Einheitsprodukte. Ich glaube, die Freiheit müssen wir lassen. Wir müssen aber weg von der Wegwerfgesellschaft, wo ein T-Shirt zweimal getragen und dann weggeworfen wird. Technische Produkte müssen reparaturfähig konstruiert werden. Doch wir können nicht untersagen zu konsumieren.

Sommer So war das nicht gemeint. Wir sind bedürftige Wesen und streben danach, unsere Bedürfnisse zu sichern. Aber Werbung von Unternehmensseite heizt Konsum an. Lebenskonzepte, in denen weniger Konsum möglich wäre, werden zudem kaum unterstützt, weder vom Staat noch von der Wirtschaft.

Otto
Nun kann gute Werbung auch wichtige Informationen geben. Ein Unternehmen muss, wenn es bestehen will, vernünftig wirtschaften. Heißt, dass es Gewinne machen muss. Sonst können sie nicht investieren, die Arbeitsplätze nicht garantieren und riskieren, aus dem Markt auszuscheiden.

Sommer Als Unternehmer fordern Sie Wachstum, als Stifter fördern Sie einen Post-Wachstums-Theoretiker wie Harald Welzer. Fühlt sich das nicht wie ein Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Identitäten an?

Otto
Nein. Wir haben in unserer Unternehmensgruppe ein Unternehmen wie Manufactum, dessen Produkte sind alle langlebig und reparaturfähig. Ganz so stringent können wir nicht immer sein, aber wir achten in allen Bereichen darauf, dass die Produkte umweltfreundlich und nach vorgegebenen Sozialstandards produziert werden. Und wir schauen so weit wie möglich auch auf deren Recyclingfähigkeit, da sind wir wieder beim Thema Ressourceneffizienz.

Sommer
Ein Projekt Ihrer Stiftung wie F.R.A.N.Z. setzt aber ganz anders an. Konventionellen Landwirten wird ein ökologischeres Wirtschaften jenseits der bestehenden Lager ermöglicht, außerdem sollen die Rahmenbedingungen verändert werden.

Otto
Bei dem Projekt F.R.A.N.Z. geht es darum, dass konventionelle Landwirte betriebswirtschaftlich erfolgreich wirtschaften, aber dennoch die Biodiversität auf ihren Höfen verbessern. Und beides ist möglich. Dabei war es extrem wichtig für die Glaubwürdigkeit, dass wir den Bauernverband als Partner gewinnen konnten. Denn wir wollen ja später all jene Maßnahmen, deren positive Effekte auf die Artenvielfalt wissenschaftlich nachgewiesen wurden, großzügig ausrollen.
Da geht es um den Dialog als Prinzip und die daraus resultierenden Veränderungen im System. Ist dies das Leitmotiv der Stiftung?

Otto
Eines der Leitmotive, richtig. Es geht aber auch um Steuerung. Wir haben schon länger EU-Mittel zur Stärkung der Biodiversität, die Agrarförderung für den ländlichen deutschen Raum liegt bei 1,5 Milliarden Euro. Aber die haben bisher nichts gebracht, das Artensterben geht immer weiter. Deswegen machen wir bei F.R.A.N.Z. auch begleitende Forschung, und das nicht nur auf biologischer Ebene, sondern um auch die Betriebswirtschaftlichkeit zu demonstrieren.

Sommer
Wenn Sie auf die 25 Jahre der Stiftung zurückblicken, was war deren größter Erfolg, was deren größter Misserfolg?

Otto
Der größte Erfolg? Die Elbe-Erklärung. Nach der Wiedervereinigung war der Teil, der Grenzfluss war, noch naturbelassen, sollte aber begradigt, vertieft, also ausgebaut werden. Um diesen wertvollen Naturraum mit seinen einmaligen Auenwäldern zu bewahren, haben wir alle Stakeholder an einen Tisch gebracht. Und wie es so ist, wenn sich Menschen an einen Tisch setzen, kam auch eine vernünftige Lösung dabei heraus.

Sommer
Und der Misserfolg?

Otto Ja, Misserfolge? Welcher von denen? (lacht) Na, einer war schon sehr traurig. In der Mongolei wollten wir zusammen mit dem lokalen WWF ein riesiges Sperrwerk zur Stromerzeugung verhindern, weil das den Fluss komplett abgeschnitten hätte. Dabei wären auch Gebiete, in denen Nomaden mit ihren Schafherden lebten, überschwemmt worden. Unser Konzept war es, kleinere, dezentrale Sperrwerke zu errichten, was den Fischen geholfen hätte und deutlich weniger Über-Land-Verkabelung bedeutet hätte. Wir hatten Standorte, wir hatten den Umweltminister überzeugt, der den Ministerpräsidenten … Und dann, ach, gab es Neuwahlen.

Sommer
Wie gehen Sie mit solchen Misserfolgen um?

Otto
Staub abklopfen und weitermachen.
Wenn Sie Beide eine Entscheidung treffen könnten für den Umweltschutz, welche wäre das?

Otto
CO2-Ausstoß besteuern.

Sommer
Ich möchte nichts entscheiden, aber ich möchte mir etwas wünschen, nämlich mehr Gestaltungsräume für Menschen, in denen sie Verantwortung übernehmen können.
Die Menschheit weiß von all den Gefahren für den Planeten, die Vorhersagen der Klimaforscher werden schließlich gerade auf tragische Weise überholt. Die Menschheit reagiert aber nicht. Was sagt das über die Menschheit aus? Ist sie zu dumm, zu bequem, zu naiv, zu wenig zukunftstauglich? Welche Erklärung haben Sie?

Sommer
Es gibt ja immer einen Zusammenhang zwischen dem Umfeld, in dem man aufwächst, und der eigenen Persönlichkeit. Das ist nichts Essentielles. Ich kann mich da nur wiederholen: Deshalb brauchen wir mehr Lernräume, wo wir Schritte in Richtung Zukunft machen können. Das bedeutet für mich insbesondere, kooperativ und dezentraler wirtschaften zu dürfen. Die Organisation unserer Lebensgrundlagen muss dafür zugänglicher für demokratische Aushandlung sein, weniger der marktwirtschaftlichen Logik und damit dem Recht des Stärkeren beziehungsweise des Erbenden unterliegen. Wenn eine Investmentbank Pharmaunternehmen rät, dass es sich nicht lohnt, Menschen zu heilen, weil Kranke besser für das Geschäft sind …

Otto
Der Mensch wird doch im Grunde mit einer großen Offenheit geboren, mit einer Neugierde. Wir müssen ihm die Chance geben, dass er sich positiv betätigen kann. Wenn er gleich in ein Gerüst kommt, wo er nur Abläufe nachvollziehen muss, wird er sich im Laufe der Jahre immer weniger bewegen. Das beginnt im Kindesalter, deswegen ist es sehr wichtig, dass wir extrem gute Pädagogen im Kindergarten, in der Schule, in der Ausbildung haben – und die auch gut bezahlen.
Was wünscht sich denn die ältere Generation von der jüngeren – und umgekehrt?

Otto
Ich übernehme dann mal den ersten Teil (lacht). Dass die junge Generation offen ist, neugierig bleibt, dass sie Begeisterung, Freude und Liebe für die Natur entwickelt. Und sich aktiv für unsere Gesellschaft engagiert.

Sommer
Ich wünsche mir von der älteren Generation, dass sie die Zweifel und Utopien der jüngeren Generation ernst nimmt. Und den Respekt, sie Dinge ausprobieren zu lassen, auch wenn nicht unbedingt begriffen wird, wo die Reise am Ende hingeht. Aber ich habe noch eine ganz persönliche Frage an Sie …

Otto
Nur zu. Ich bin gespannt, ob ich sie beantworten kann.

Sommer
Wie schafft man es, so beweglich, fit und neugierig zu bleiben? Haben Sie Tipps, die Sie mir weiterreichen können?

Otto
Sich körperlich fitzuhalten hilft schon mal. Ich mache Tai Chi, reite, spiele, wenn auch zu selten, Volleyball in der Betriebssportgruppe. Aber dann braucht man vor allem geistige Herausforderungen. Wenn man im Alter nichts hat, für das man sich begeistert und engagiert, altert man unheimlich schnell. Wenn man aber beispielsweise eine Sprache lernt, ein Ehrenamt ausübt oder sich für Projekte unserer Gesellschaft einsetzt, wenn man die Zukunft noch mitgestalten möchte, dann bleibt man geistig rege.


Felicitas Sommer
wurde 1989 in Dachau geboren. 2008 absolvierte sie eine Schauspielausbildung in München und begann dort ein Jahr später das Studium der Ethnologie und Theaterwissenschaft. An der Uni Leipzig schloss sie Ethnologie mit dem Master of Arts ab. Außerdem arbeitete sie im Münchner Referat für Umwelt und Gesundheit. Heute ist Sommer Landesdeligierte des BUND Sachsen, Vorstandsassistenz bei Ökofinanz-21 e. V., spielt Klarinette bei den Balkanauten und schreibt ihre Doktorarbeit über neue Bedeutungen von Land und Landwirtschaft in der Globalisierung.

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